Boysober

Der Begriff „boysober“ ist eine Wortneuschöpfung aus „boy“ (also Junge bzw. Mann) und „sober“ (nüchtern oder abstinent). Aber wie funktioniert das: Nüchtern von Männern sein? Kann man überhaupt süchtig nach Dating sein?

Tatsächlich ja – zumindest im übertragenen Sinn. Hier geht es zwar nicht um eine körperliche Abhängigkeit wie beim Rauchen oder einer Alkoholsucht – eine mentale Abhängigkeit ist im Datingkontext allerdings durchaus möglich. Wenn Du nur noch an ihn denkst, ständig aufs Handy starrst und Dein Leben nach seinen Nachrichten ausrichtest, bist Du vielleicht schon ein bisschen „hooked“. Und wer kennt das nicht: Auch das eigene Selbstwertgefühl kann an die Aufmerksamkeit der Datingpartner gebunden sein.

Hier setzt der Boysober-Trend an. Eine Pause von Männern, um Dich selbst und Deine Bedürfnisse wieder in den Mittelpunkt zu stellen! Statt die Energie ins Dating zu stecken, kannst Du sie jetzt für Freundschaften, Hobbys und Karriere nutzen.

Wer kam nun auf die Idee des Männerentzugs? Vermutlich gab es schon immer Frauen, die eine Zeit lang ganz bewusst auf das Daten von Männern verzichtet haben. Richtig bekannt wurde boysober allerdings im Jahr 2022 dank der Comedienne Hope Woodard. Zunächst berichtete sie in ihre Stand-up-Programm von ihrem freiwilligen Männerverzicht, kurze Zeit später teilte sie ihre boysober Regeln auch auf TikTok und ging mit dem #boysober viral. 

Hope Woodard erzählt online, dass sie ein ganzes Jahr lang keine Männer getroffen hat und auch keinen Sex hatte. Die Erleuchtung sei ihr gekommen, als sie Zeit mit ihrer Großmutter verbringen wollte aber sich kaum auf das Treffen konzentrieren konnte. Denn gedanklich wartete sie die ganze Zeit auf die Nachricht eines Mannes, die in feinster Ghosting Manier natürlich nie kam. Die eigene Omi vernachlässigen für einen Typen, der eh nicht zurück schreibt. „Jetzt reicht es!“, beschloss Woodard. Der boysober Trend war geboren. 

Sich von Situationships, Delusionships und Casual Sex oder Dating zu lösen, ermöglichte ihr ein ganz neues Leben, sagt Hope Woodard. Plötzlich musste sie sich damit auseinandersetzen, welche falsche Bestätigung sie durch das Daten von Männern gezogen hatte und nun neue Wege finden, sich besagte Bestätigung selbst zu geben. Laut Woodard ist die Datingabstinenz der beste Weg, um sich mal so richtig selbst kennenzulernen.

Wie schnell sich der #boysober über TikTok verbreitet hat, zeigt, dass es sich hier um einen Dating-Trend handelt, der den Zeitgeist trifft. Doch warum entscheiden sich immer mehr Frauen für die freiwillige Abstinenz von Männern? Schuld sind vor allem immer frustrierender werdende Datingerfahrungen. 

Emotional unerreichbare Männer mit vermeidendem Bindungstyp, fehlende Verbindlichkeit und mangelnde Kommunikation – all das sind kleine Tropfen, die das Dating-Fass letztendlich zum Überlaufen bringen. Das stereotype Verhalten von cis Männer und das Alphatiergehabe kommt bei vielen Frauen einfach nicht mehr gut an, Dating-Fatigue ist das Ergebnis. 

Aber es geht gar nicht darum, Männer für ihr Fehlverhalten zu „bestrafen“, sondern vielmehr darum, wieder zu sich selbst zu finden. Gerade in unklaren Datingsituationen wie bei einer Situationship, kann eine Datingperson extrem viel gedanklichen Platz einnehmen. Wie süchtig checken wir immer wieder unsere Nachrichten, denken nur an das nächste Treffen oder gehen vergangene Dates noch einmal in Gedanken durch. Wir sind abhängig von der Aufmerksamkeit der anderen Person.

Und tatsächlich gibt es hierfür eine biologische Erklärung, die ganz ähnlich klingt wie bei anderen Süchten: Wir werden süchtig nach dem Dopaminrausch. Dopamin ist ein Belohnungshormon, was eben nicht nur durch einen Lottogewinn sondern auch durch süße Nachrichten und kleine Aufmerksamkeiten ausgeschüttet werden kann. 

Besonders fies wird es, wenn diese Zuwendungen nur unregelmäßig kommen. Dann kickt nämlich das Prinzip der intermittierenden Verstärkung. Was soll das nun wieder sein? Denke einfach an jemanden der vor einem Spielautomat sitzt und immer wieder am Hebel zieht, obwohl eine Niete nach der anderen kommt. Doch schon ein kleiner Gewinn reicht aus, damit Dopamin durch den Körper rauscht und erneut viele weitere Nieten in Kauf genommen werden, um dieses berauschende Gefühl noch einmal zu erleben. 

Etwas ähnliches kann uns auch beim Dating passieren: Ist Dein Datingpartner nur unregelmäßig verfügbar oder meist emotional distanziert – doch dann rutscht ihm ein Kompliment raus und Du schwebst auf Wolke 7? Dann passiert in Deinem Gehirn genau das gleiche wie beim Spielautomat: Du wist abhängig von den (nur vereinzelt auftretenden) positiven Zuwendungen.

Die Folge: Du beschäftigst Dich mental nur noch mit der Datingperson, machst Deinen Wert von seiner Zuneigung abhängig und vernachlässigst möglicherweise andere Lebensbereiche. Boysober zu leben soll dabei helfen, aus dieser emotionalen Achterbahn auszusteigen und den eigenen Bindungstyp zu reflektieren.

Aber Moment mal. Gab es boysober nicht schon immer – und zwar im Form des Zölibats? Jaein. Hier gibt es zwar Ähnlichkeiten, aber eben auch entscheidende Unterschiede zwischen boysober und Zölibat.

Das Zölibat beschreibt den völligen Verzicht auf Sex und Ehe. Oft sind starke religiöse Überzeugungen der Urspruch einen zölibatären Lebens. Es geht um „Reinheit“ und Selbstbeherrschung. Oft handelt es sich beim Zölibat um ein lebenslanges Gelübde, nicht um eine Datingauszeit von einigen Monaten. 

Boysober dagegen ist eher eine bewusste „Dating-Detox“ für eine bestimmte Zeit, ohne dass der Verzicht auf Beziehungen oder Sex für immer gelten muss. Statt spiritueller Motive steht beim boysober vor allem der Fokus auf das eigene Wohl und Selbstbewusstsein im Vordergrund. Es geht darum, mentalen Abstand zu Dating-Gewohnheiten zu schaffen und die eigenen Bedürfnisse wieder in den Mittelpunkt zu rücken, nicht um eine dauerhafte oder religiöse Selbstverpflichtung.