Overtouched Syndrom
Wenn Dir körperliche Nähe zu viel wird
Fühlst Du Dich oft eingeengt – fast schon bedrängt? Ist Dir Körperkontakt unangenehm, obwohl Du Deine:n Partner:in liebst? Dann leidest Du vielleicht am Overtouched Syndrom und bist überfordert von der Nähe. Die gute Nachricht: Diese Symptome sind meist kein Dauerzustand – hier erfährst Du mehr!
Was ist das Overtouched Syndrom?
Das Overtouched Syndrom – oder auch Touched Out Syndrom – beschreibt, wenn eine Person plötzlich keine körperliche Nähe mehr ertragen kann. Der Begriff ist recht neu und es gibt (noch) keine festgelegten Kriterien, die das Overtouched Syndrom zu einer wissenschaftlich anerkannten Erkrankung machen.
Was nicht bedeutet, dass die Symptome und Ursachen nicht real sind. Übersetzt bedeutet das englische „overtouched” so viel wie „zu viel berührt” – das Nervensystem ist überreizt und Körperkontakt wird dadurch unangenehm. Darunter leidet nicht nur die betroffene Person, sondern auch der:die Partner:in oder auch Freund:innen und Familienangehörige.
Welche Personen können vom Overtouched Syndrom betroffen sein?
Vor allem bei Eltern von Säuglingen und Kleinkindern ist das Overtouched Syndrom verbreitet, da sie oft von körperlicher Nähe überflutet werden. Besonders betroffen sind Mütter, da sie häufig den Großteil der Zeit mit dem Kind verbringen und durch das Stillen eine sehr enge körperliche Beziehung zum Kind haben. Aber auch wenn Männer keine körperliche Nähe wollen, kann das an der Elternschaft liegen.
Das Overtouched Syndrom tritt außerhalb der Eltern-Kind-Beziehung besonders bei diesen Personengruppen auf:
Symptome des Overtouched Syndroms
Hauptsymptom des Overtouched Syndroms ist, dass die betroffene Person nicht berührt werden möchte, weil sich der Körperkontakt zu viel, falsch oder einfach unangenehm anfühlt. Das ist aber noch lange nicht alles, woran man das Overtouched Syndrom erkennen kann – es ist eine Kombination aus innerem Erleben und äußerem Verhalten.
Wie stark das Overtouched Syndrom und seine Symptome ausgeprägt sind, ist ganz unterschiedlich. Manchmal sind leichte Berührungen noch okay, in anderen Fällen sind sogar die eigenen Berührungen, zum Beispiel beim Duschen, schon zu viel. Hohe Temperaturen, Kleidung und Menschenmengen können das Unwohlsein beim Overtouched Syndrom übrigens noch verstärken.
Körperlich-sensorische Abwehr
Wenn Männer und Frauen keine körperliche Nähe wollen, vermeiden sie selbst Berührungen und machen vielleicht auch Ausweichbewegungen, wenn jemand anderes sie anfassen möchte. Sie fühlen sich bei zu viel Nähe angespannt und körperliche Unruhe macht sich breit.
Das kann dann so weit gehen, dass sich beim Overtouched Syndrom ein regelrechter Ekel vor dem:der eigenen Partner:in entwickelt. Dieser hat nichts mit der eigentlichen Anziehung, den Gefühlen oder der Körperhygiene zu tun, sondern dient vielmehr als Schutzmechanismus des Körpers. Wenn zu viel Nähe Dich gerade erdrückt, sorgt Dein Körper dafür, dass Du Dir Raum nimmst.
Emotionale Überreizung
Neben den körperlichen Symptomen belastet Dich zu viel Nähe beim Overtouched Syndrom häufig auch psychisch. Du fühlst Dich überfordert, gestresst und hast möglicherweise sogar ein schlechtes Gewissen.
Wenn Du Berührungen immer wieder ausweichen musst, fühlst Du Dich unter Druck gesetzt. Die Nerven liegen blank. Da ist es nur verständlich, dass Du immer öfter gereizt reagierst, um weitere Annäherungsversuche abzublocken.
Reaktionen wie Weinen, Wut oder emotionale Taubheit können beim Overtouched Syndrom ebenfalls auftreten. Da Dich die innere Unruhe und Enge ständig begleitet, wird der Wunsch nach Rückzug und Ruhe auch immer größer.
Sexuelle und intime Distanzierung
Wenn sich schon einfache Berührungen unangenehm anfühlen, wie soll dann das mit dem Sex klappen? Beim Gedanken an Intimität kommt da schon mal ein Gefühl von Angst oder Panik hoch. Ein unterschiedliches sexuelles Verlangen, Distanzierung und Lustlosigkeit sind typische Begleiterscheinungen. Wenn das Overtouched Syndrom nicht extrem ausgeprägt ist, können Küsse, Umarmungen und Kuscheln noch okay sein – während Geschlechtsverkehr vielleicht nicht mehr denkbar ist.
Ursachen des Overtouched Syndroms
Die geläufigste Ursache ist, dass Du zu viel Nähe erfahren hast und damit nicht (mehr) umgehen kannst. Aber das Overtouched Syndrom kann auch andere Ursachen haben als nur zu viel Nähe. Zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählt es, körperlich autonom zu sein. Wird diese Autonomie angegriffen, reagiert Dein Körper unter Umständen mit dem Overtouched Syndrom.
Zu viel Nähe, zu viel Oxytocin
Wenn ständig jemand an Dir klebt, ist das Bedürfnis nach etwas Abstand ganz normal. Beim Overtouched Syndrom ist das jedoch so oft der Fall, dass es Dich schier wahnsinnig macht, noch mehr Nähe zu ertragen.
Egal, ob mit Partner:in, Kind, Familie oder Freund:in – beim Kuscheln wird Oxytocin freigesetzt. Das auch als Kuschel- oder Bindungshormon bekannte Oxytocin sorgt dafür, dass Du Dich wohlfühlst. Doch auch das kann zu viel sein – und dann möchte der Körper nicht noch mehr davon und lässt Dich mit den Symptomen des Overtouched Syndroms reagieren.
Elterliche Überlastung bei Kindern
Das Overtouched Syndrom ist vor allem bei jungen Eltern verbreitet. Babies und Kleinkinder brauchen unheimlich viel Zuwendung und Körperkontakt. Dazu kommen die hohen emotionalen und körperlichen Anforderungen, die ständige Verfügbarkeit und das Aufgeben der eigenen Bedürfnisse, wenn es um den Nachwuchs geht.
Nach einem Tag voller Kuscheln, Rumtragen, Stillen und Einschlafbegleitung ist es kein Wunder, dass am Abend die Batterie alle ist – und nicht noch mehr Hautkontakt erwünscht ist. Erdrückt Dich zu viel Nähe durch beispielsweise den:die Partner:in oder hältst Du sogar die Nähe zum Kind nicht mehr aus, heißt das jedoch nicht, dass Du ein schlechter Elternteil oder Partner:in bist – Du leidest lediglich am Overtouched Syndrom.
Zu wenig Zeit für sich selbst
Ob Eltern oder nicht: Fehlende Me-Time schadet uns auf Dauer. Und hast Du zu wenig Zeit für Dich selbst und Deine Bedürfnisse, kann auch die Nähe zu anderen Personen beeinträchtigt sein. Das Overtouched Syndrom ist also kein Phänomen unter Eltern und Paaren, sondern kann auch Dich als Individuum betreffen. Nur wenn Du Dich in Deinem Körper wohl und geborgen fühlst, kannst Du auch andere Menschen an Dich ran lassen, ohne dass der Körperkontakt unangenehm ist.
„Ich bin overtouched“ – Auswirkungen auf die Beziehung
Wünscht sich Dein:e Partner:in Nähe, die Du nicht zulassen kannst, kann das auf Dauer zu großer Unzufriedenheit und sogar Konflikten führen. Mangelnde Kommunikation und gereiztes Verhalten sorgen auf der anderen Seite für Verständnislosigkeit und dafür, dass Ihr beide in der Beziehung unglücklich seid.
Das alles hat aber nichts damit zu tun, dass Ihr Euch entliebt habt oder nicht mehr zusammen sein wollt. Der Rückzug bedeutet Selbstschutz, nicht Ablehnung. Leiden Du oder Dein:e Partner:in am Overtouched Syndrom, können nur einfach gerade nicht alle Bedürfnisse erfüllt werden – aber das geht vorbei.
Was kann man gegen das Overtouched Syndrom tun?
Du fühlst Dich unwohl, wenn Dich jemand berühren will oder fragst Dich, warum Dein:e Partner:in bei körperlicher Nähe abblockt? Dann ist der erste Schritt getan – denn Erkennen und Reflektieren ist wichtig, um das Overtouched Syndrom und seine Ursachen zu verstehen.
Meist lassen die Symptome nach einer Weile von allein nach, wenn sich die Ursache des Overtouched Syndroms auflöst oder ändert. Mit den folgenden Tipps kannst Du es selbst in die Hand nehmen, die Symptome zu bekämpfen und wieder zu angenehmer Nähe finden.
1. Kommunikation
Wollt Ihr die Beziehung retten und nicht in einen Strudel aus Verzweiflung und Vorwürfen geraten, ist Kommunikation key. Redet über Eure Bedürfnisse und ergründet gemeinsam, warum eine:r von Euch plötzlich keine Nähe mehr ertragen kann. Redet darüber, dass es nicht um Ablehnung geht und der:die andere nichts dafür kann (in den meisten Fällen zumindest). Findet anschließend gemeinsam eine Lösung, wie Ihr dem Overtouched Syndrom entgegenwirken könnt.
2. Gönn Dir eine Pause
Fühlt sich Nähe für Dich belastend an, dann gönn Dir eine Pause. Natürlich sollst Du nicht einfach das Baby liegen lassen oder eine Beziehungspause einlegen. Aber lass Dich nicht erdrücken – vielleicht kann Dein:e Partner:in mal das Kind ins Bett bringen, Ihr engagiert eine:n Babysitter:in oder statt eines gemeinsamen Abends auf der Couch nimmst Du Dir mal ein paar Stunden für Dich. Findet gemeinsam Wege, wie Du Deine Akkus wieder aufladen kannst und Ihr so verhindert, dass das Overtouched Syndrom noch schlimmer wird.
3. Selfcare und Me-Time
Zeit für Dich – das ist, was Du brauchst. Nimm Dir die ganz bewusst und finde wieder mehr zu Dir selbst, um das Overtouched Syndrom zu überwinden. Sei mit Dir allein und genieße einfach mal die Ruhe und den Abstand, um Dich zu erholen. Gute Möglichkeiten, Dich selbst wieder mehr zu spüren, sind Wellness oder Sport. Aber: Sind Massagen oder Ähnliches körperlich zu nah, ist das völlig okay!
Folgendes tut bei der Selfcare richtig gut:
4. Externe Hilfe
Wird es auch mit unseren Tipps einfach nicht besser und erdrückt Dich Körperkontakt auch weiterhin, kann professionelle Unterstützung helfen. Du bist mit dem Overtouched Syndrom nicht allein!
Ist das Elternsein Ursache für die Symptome, gibt es spezielle Beratungsstellen – sprich auch ruhig Deinen Arzt oder Deine Ärztin darauf an. Liegt dem Overtouched Syndrom eine psychische Erkrankung oder Trauma zugrunde, kann eine Therapie ratsam sein, um die Muster aufzulösen und dafür zu sorgen, dass Du wieder gesunde Nähe zulassen kannst.
Fazit: Es gibt Wege raus aus dem Overtouched Syndrom
Wenn Dir körperliche Nähe zu viel wird, ist das oft kein Dauerzustand. Das Overtouched Syndrom kann durch verschiedene Situationen wie Elternschaft oder Mangel an Me-Time entstehen. Kein Grund zur Panik: Mit unseren Tipps kannst Du schon bald wieder Nähe zulassen und kommst mit Deinem:Deiner Partner:in wieder auf Kuschelkurs.