Beziehungsunfähigkeit
Mythos oder echtes Problem?
Als beziehungsunfähig bezeichnet man schnell mal Personen, die nie eine lange Beziehung haben und eher Beziehungs-Hopping betreiben. Aber ist das wirklich Beziehungsunfähigkeit oder steckt da mehr dahinter? Erfahre hier alles über Symptome, Ursachen und Bewältigungsstrategien von Beziehungsunfähigkeit.
Was ist Beziehungsunfähigkeit?
Der Begriff „Beziehungsunfähigkeit“ wurde unter anderem von Autor Michael Nast und seinem Buch „Generation Beziehungsunfähig“ geprägt. Er beschreibt umgangssprachlich, wenn eine Person zwar gerne eine dauerhafte Liebesbeziehung hätte, den Balanceakt zwischen Nähe und Freiheit aber einfach nicht hinbekommt – oft reiht sich auch eine Kurzbeziehung an die nächste. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es eine solche Beziehungsunfähigkeit aber nicht, es ist also kein Symptom einer psychischen Störung, die Dir attestiert werden kann – auch wenn die zugrunde liegenden Probleme durchaus real sind (dazu später mehr …).
Vielleicht hast Du Dich schonmal gefragt: „Bin ich beziehungsunfähig?“ Bindungen sind ein Grundbedürfnis des Menschen und niemand wird als nicht beziehungsfähig geboren. Laut Psycholog:innen wie Stefanie Stahl ist jede:r beziehungsfähig. Beziehungsunfähigkeit ist also keine Unfähigkeit, zu lieben, sondern vielmehr ein Symptom psychischer Belastungen, persönlicher Entscheidungen und der inneren Einstellung.
# Ausreden
„Ich bin halt nicht beziehungsfähig” wird auch manchmal als Ausrede benutzt, damit man erst gar keine Beziehung eingehen muss oder um einen Fehltritt in einer bestehenden Beziehung zu rechtfertigen. Mangelndes Interesse und nicht vorhandene Integrität wird so gerne mal unter dem Deckmantel der vermeintlichen Beziehungsunfähigkeit vertuscht.
Ist Beziehungsunfähigkeit ein dauerhafter Zustand?
Nicht zwangsläufig. Da Du nicht beziehungsunfähig geboren wirst, kannst Du Deine eigenen Beziehungsmuster auch wieder ablegen. Es kann also jede:r lernen, eine erfüllende Partner:innenschaft zu führen. Wann man beziehungsfähig ist und wann nicht, kann natürlich auch von verschiedenen Lebensphasen abhängen. Übrigens: Die bewusste und legitime Entscheidung dafür, keine Beziehung zu wollen, heißt nicht, dass man beziehungsunfähig ist.
Wie äußert sich Beziehungsunfähigkeit?
Die Symptome von Beziehungsunfähigkeit sind vielfältig, zeigen sich aber meist erst beim Versuch einer Beziehung. Körperliche Nähe ist oft kein Problem, aber kommt emotionale Intimität ins Spiel, beginnt der unbewusste Selbstschutzmechanismus.
Typische Anzeichen von Beziehungsunfähigkeit sind:
Beziehungsunfähigkeit hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, da sie bei Männern und Frauen gleichermaßen vorkommt. Die Anzeichen, Merkmale und Gründe von Beziehungsunfähigkeit sind oft sehr ähnlich bei Mann und Frau. Ein paar Tendenzen lassen sich jedoch beobachten. Aber bevor wir jetzt aber zu tief in die Geschlechterklischee-Falle tappen ein kleiner Disclaimer: Das sind nur Tendenzen, die sich oft in unserer Gesellschaft beobachten lassen und auch entstehen, weil Stereotypen aufrechterhalten werden …
Merkmale von Beziehungsunfähigkeit beim Mann
Anzeichen von Beziehungsunfähigkeit bei der Frau
Gründe für Beziehungsunfähigkeit
Hinter Beziehungsunfähigkeit steckt meist eine tieferliegende Angst vor Verletzung, Ablehnung oder Kontrollverlust oder eine falsche Einstellung. Dass Beziehungsunfähigkeit oft mit Bindungs- oder Verlustangst gleichgesetzt wird, zeigt den großen Anteil der Ängste unter den Ursachen.
Bindungsangst
Wer unter Bindungs- oder Beziehungsangst leidet, gilt gemeinhin als nicht beziehungsfähig. Prägungen aus der Vergangenheit und früheren Beziehungen sorgen dafür, dass man sich nicht richtig auf eine Beziehung einlassen kann. Dann wird schneller mal die Flucht ergriffen als es ernsthaft zu versuchen – so entgeht man dem eigentlichen Problem.
Verlustangst
Auch weit verbreitet ist die Angst vor dem Verlassenwerden, die meist in der Kindheit begründet liegt. Als eine Art Selbstschutz hältst Du Dich emotional zurück und lässt keine enge Bindung zu, um nicht verletzt zu werden.
Geringes Selbstwertgefühl
Das mit dem Selbstwert ist immer so eine Sache – zu viel wird als Arroganz eingestuft, zu wenig hält Dich klein. Dabei ist ein gesundes Selbstwertgefühl so wichtig für ein glückliches Leben und auch Liebesleben. Denkst Du „Ich bin eh nicht gut genug” oder „Ich bin nicht liebenswert”, verlierst Du auch schnell den Glauben daran, dass Dich jemand wahrhaftig lieben kann. Diese Gefühle führen häufig auch zu einer emotionalen Abhängigkeit.
Hohe Erwartungen
Unrealistische Erwartungen, hohe Ansprüche und Engstirnigkeit machen es ebenfalls nicht leicht, eine gute Beziehung zu führen. Hast Du eine ganz bestimmte Vorstellung von Deinem:Deiner Traumpartner:in? Wenn Du Aussehen, Charakter und Lebensumstände schon fest definiert hast, fällt es schwer, jemanden zu finden, mit dem Du wirklich glücklich bist. Bei den kleinsten Macken ziehst Du schon die Reißleine, weil es „ja eh nicht passt”.
Negative Erfahrungen
Prägungen resultieren nicht nur aus der Kindheit, sondern auch durch vorherige Beziehungen. Hat Dich also Dein:e Ex mal betrogen, anderweitig schlecht behandelt oder warst Du sogar in einer toxischen Beziehung, fragst Du Dich vielleicht, ob Du noch beziehungsfähig bist. Die schlechten Erfahrungen begleiten Dich meist noch eine ganze Weile.
Wunsch nach Autonomie
Grund für Beziehungsunfähigkeit kann auch sein, dass Du einen enormen Wunsch nach Freiheit und Autonomie hast. Wenn Du Dich schnell eingeengt fühlst, nicht abhängig sein willst und eine feste Beziehung eher als Käfig siehst, wird eine gesunde Beziehung auf Augenhöhe schwer.
FOMO – die Angst, was zu verpassen
Unsicherheit, ob er:sie wirklich der:die Richtige ist, bringt so manche Beziehung zum Scheitern. Unter FOMO (Fear Of Missing Out) versteht man die Angst, was zu verpassen. Du bleibst also lieber in einer Unverbindlichkeit statt einer festen Partner:innenschaft, denn es könnte ja noch jemand besseres kommen.
Gesellschaftliche Erwartungen
Der gesellschaftliche Druck, eine klassische Familie zu gründen, lässt zwar immer mehr nach und neue Beziehungsmodelle lockern das Ganze etwas auf, doch wird irgendwie trotzdem oft erwartet, dass jeder Topf seinen Deckel findet. „Wann findest Du denn endlich jemanden?” und ähnliche Aussagen machen es nicht leichter, das Liebesglück zu finden und blockieren uns einfach manchmal.
Fokus auf Karriere
Für Karrieremenschen ist Beziehungsunfähigkeit kein Fremdwort. Menschen, die sehr stark auf ihren Job fokussiert sind, bekommen in ernsten Beziehungen oft kalte Füße – vor allem Frauen. Zu groß ist die Angst, in das klassische Rollenbild der Hausfrau und Mutter gedrängt zu werden und die Karriere nicht mehr voll ausleben zu können.
Ursachen für Beziehungsunfähigkeit: Ist die Kindheit schuld?
Wie so viele unserer Prägungen und Glaubenssätze kommen auch einige Gründe der Beziehungsunfähigkeit aus der Kindheit. Vor allem die ersten drei Jahre unseres Lebens prägen das Bindungsverhalten, aber auch spätere Jahre und Erlebnisse im Erwachsenenalter haben noch Einfluss darauf. Fehlendes Urvertrauen, Unsicherheiten und Ängste aus der Kindheit können also durchaus Ursachen für eine spätere Beziehungsunfähigkeit sein – sind es aber nicht zwangsläufig.
Was mache ich, wenn mein:e Partner:in beziehungsunfähig ist?
Erkennst Du bei Deinem:Deiner Partner:in die oben genannten Anzeichen für Beziehungsunfähigkeit, musst Du nicht gleich Schluss machen. Sprich ihn:sie darauf an und sprecht offen über die Themen, die zugrunde liegen. Sei geduldig und setze ihn:sie nicht unter Druck. Zwar kann nur er:sie die Muster aufbrechen, aber Du kannst dabei durchaus unterstützen. Und nur wenn Du die Ursachen kennst, kannst Du verständnisvoll sein.
Schafft Ihr es nicht allein, kann auch eine Paartherapie hilfreich sein. Achte auf jeden Fall auch auf Deine eigenen Bedürfnisse und beende die Beziehung, wenn der Prozess für Dich nicht mehr tragbar ist.
Tipps zur Bewältigung von Beziehungsunfähigkeit
Mit unseren Strategien gegen Beziehungsunfähigkeit gelingt es Dir, Deine Denkmuster zu ändern und endlich echte Bindungen einzugehen. Wichtig ist, mit der Vergangenheit abzuschließen, Verletzungen zu heilen und Ängste zu erkennen. Nur dann kannst Du Deine innere Balance finden, Dein Verhalten reflektieren und Dein Glück wahrhaftig teilen.
Einsicht zeigen
Wenn Dir klar wird, dass Du nicht wirklich beziehungsfähig bist, gibt es keinen Schalter, um das zu ändern. Es Dir einzugestehen, ist aber der erste Schritt zur Bewältigung. Mach Dir bewusst, dass Du Dein Verhalten ändern kannst, indem Du die Ursachen Deiner Beziehungsunfähigkeit erkennst, verstehst und letztendlich angehen kannst.
Komfortzone verlassen
Sich seinen Ängsten zu stellen, klingt beängstigend. Nun, das ist es anfangs meist auch. Aber je mehr Du Dich mit ihnen und Deiner Psyche auseinandersetzt, desto mehr lernst Du, sie zu verstehen. Und eine Angst, deren Gründe man kennt, wird gleich viel kleiner. Geh also Deine persönlichen Themen an und wer zu einem besseren Ich.
Selbstwertgefühl steigern
„Nur wer sich selbst liebt, kann auch andere lieben” ist gar nicht so falsch, wenn man es im Zusammenhang mit Beziehungsunfähigkeit betrachtet. Bist Du mit Dir selbst im Reinen, hast Du auch die notwendigen Ressourcen für eine gesunde Beziehung auf Augenhöhe. Befasse Dich intensiv mit Dir selbst, denn Du bist auch außerhalb der Beziehung ein eigenständiger Mensch. Und sobald Du das verinnerlicht hast, schrumpfen Verlustängste auf ein Minimum.
Mindset und Beuteschema ändern
Nun heißt es, unrealistische Erwartungen loszulassen – denn niemand ist perfekt, und Dein:e Partner:in wird es ebenfalls nicht sein. Überdenke Deine Einstellung zu Beziehungen und Deinem Beuteschema. Denk aber auch nicht zu viel nach: Zerdenke neue Liebschaften nicht gleich mit „Würde das überhaupt auf Dauer passen?” – das werdet Ihr dann schon rausfinden …
Darüber sprechen
Innerhalb einer Beziehung ist es wichtig, den:die Partner:in einzubeziehen. Kommuniziere offen über die Beziehungsunfähigkeit, die Gründe und wie Ihr das gemeinsam meistern könnt. Bist Du gerade in keiner Beziehung oder möchtest Dich außerhalb der Partner:innenschaft über Deine Bindungsmuster austauschen, sind Freund:innen und nahestehende Familienmitglieder gute Ansprechpartner:innen.
Hilfe suchen
Hast Du das Gefühl, alleine einfach nicht weiterzukommen – oft scheitert es schon am Aufarbeiten der Vergangenheit – ist professionelle Unterstützung ratsam. Eine Psychotherapie kann Dir dabei helfen, Deine Prägungen zu erforschen und den Ängsten entgegenzuwirken.
Fazit: Beziehungsunfähigkeit überwinden
Ganz egal, ob man es jetzt Beziehungsunfähigkeit, Bindungsangst oder anders nennt: Wenn Du keine richtige Beziehung führen kannst, obwohl Du willst (und das ist der ausschlaggebende Punkt), liegt was im Argen. Finde raus, woran es liegt und tu was dagegen, denn Beziehungsunfähigkeit führt leider nicht zum Liebesglück. Mit unseren Tipps zur Bewältigung schaffst Du es, eine erfüllte Beziehung einzugehen.